Die Kultur der Weiblichkeit
von Eva Casi ©
Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht das Thema der Weiblichkeit
unter MzF-Transidenten diskutiert wird. Was bedeutet es, weiblich zu
sein? Bist Du weiblicher als ich? Was muss man tun, um endlich weiblich
zu sein? Mehr weiblicher Busen? Die OP? Die Namensänderung? Fragt man
eine Frau, die als Frau geboren wurde, was sie denn zur Frau macht,
zuckt sie meistens nur verständnislos die Schultern, weil sie sich diese
,schwierige' Frage wahrscheinlich noch nie gestellt hat. Auch wenn sie
noch so resolut, noch so burschikos auftritt, wird sie doch nie daran
zweifeln, eine Frau zu sein. Es wurde ihr ein Leben lang bestätigt, dass
sie weiblich ist. Ist es der Bart? Wie viele Frauen tragen einen
Damenbart vor sich her, ohne dass jemand daran zweifelt, das es sich um
Frauen handelt. Auch Unfruchtbarkeit nehmen einer Frau nicht ihre
Weiblichkeit, denn wer weiß schon, ob eine Frau in der Lage ist, Kinder
zu bekommen oder nicht. Was also macht die Frau zur Frau?
Transidenten finden sich oft zwischen den Geschlechtern wieder, denn
Frauen zweifeln: ,Das soll eine Frau sein?' und Männer: ,Das soll ein
Mann sein?'
Die Antwort auf die Frage "Was ist weiblich?" geben Vergleiche, in
denen ähnliche Probleme auftauchen. ,Beweis durch Induktion', wie
Mathematiker bemerken würden.
"Das sind die Russen!" erklärte Frau Schmitz Ihrem Mann, als er
fragte, wer denn nebenan eingezogen sei. "Das sind die Deutschen!"
sagten die Nachbarn zu den gleichen Deutsch-Russen, als sie noch in
Russland lebten.
Von den ,Türken' sprechen wir, auch wenn sie schon lange die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzen, sich aber nur unter Türken aufhalten. Die
gleichen Menschen werden in Ihrem Geburtsland ,die Deutschen' genannt,
weil sie ihre Muttersprache Türkisch nicht mehr beherrschen.
Die Zugehörigkeit zu einer kulturellen Gruppe wird also hauptsächlich
durch das behende Beherrschen der ihr eigenen Sprache und der Pflege
der gruppentypischen Gewohnheiten demonstriert bzw. anerkannt. Ein
Deutscher wird als Deutscher erkannt, wenn er akzentfrei Deutsch
spricht und typisch deutsche Gewohnheiten pflegt. Dabei ist es
gleichgültig, ob er in Deutschland geboren ist oder nicht und wenn das
äußere Bild nicht zu sehr vom gewohnten abweicht. Das Mitglied einer
Religionsgemeinschaft wird in der Gruppe anerkannt, wenn es die
typischen internen Ausdrücke pflegt und die Zeremonien beherrscht. Ein
Obdachloser, der es wagt, mit sauberer Kleidung unter seinesgleichen
aufzutauchen, wird ausgelacht. Vergleiche gibt es unendlich viele und
sie zeigen, dass der kulturelle Aspekt der Weiblichkeit mindestens so
wichtig oder sogar wichtiger als der körperliche Aspekt ist.
Das Tragen von Röcken oder eine OP macht also noch keine Frau.
Weiblich ist der Mensch, der von den Frauen trotz aller
Unvollkommenheiten als ihresgleichen erkannt ist. Dabei sind
äusserlichkeiten natürlich wichtig, da viele Frauen sich sehr genau
gegenseitig beobachten. Weibliche Hormone helfen, die Kurven zu
verschönern und eine weibliche Brust wachsen zu lassen. Wichtiger noch
als die Brust ist das Aussehen des Gesichts, denn das Gesicht vermittelt
den wichtigen ersten Eindruck.
Das Zentrale an der Weiblichkeit ist also das Beherrschen der
weiblichen Kultur, bestehend Körpersprache, typischen Themen und
Verhaltensweisen. In einem der nächsten Gruppenabenden werden wir uns
mit der typisch weiblichen Körpersprache beschäftigen. Nun gibt es nicht
,die' weibliche Kultur, sondern je nachdem in welchen Kreisen man sich
bewegen wird oder will, gibt es unterschiedliche Kulturen, die es gilt,
sich anzueignen, wenn man in den gewünschten Frauenkreisen aufgenommen
werden möchte. Wer sich unter Feministen aufhalten möchte, hat eine
andere Sprache zu lernen als jemand, der einen Schönheitswettbewerb
gewinnen möchte.
Wem es Vergnügen bereitet, sofort und überall als Transident
definiert zu werden, hat es allerdings recht einfach, er braucht kaum
etwas hinzuzulernen. Er sollte vielleicht noch lernen, sich im Minirock
breitbeinig auf einen Stuhl zu setzen. Aber die Erfahrung zeigt, dass es
recht wenige unter uns gibt, die so militant zum Cross-Dressing stehen.
Ein starkes Gefühl der Integration überkam mich persönlich, als mir
auf einer Party eine Frau erzählte, dass sie gerade ihre Tage gehabt
hatte und wie sie damit umging. Hätte sie das unaufgefordert einem
fremden Mann erzählt? Ein ähnlich freudiges Gefühl beschlich mich, als
sich bei einer anderen feierlichen Gelegenheit die fußballbegeisterten
Männer absonderten, um sich über Sport zu unterhalten und sich die
jungen Frauen in meine Ecke begaben, um sich über ihre Kinder zu
unterhalten. Ich konnte da fachlich zwar nicht mithalten, aber es zeigte
mir, dass sie mich kulturell integrierten.
Deswegen mein Appell an alle Neo-Frauen, die sich auf dem langen Weg
zur Weiblichkeit befinden: Nicht schicke Kleidung und weibliche Hormone
allein machen seelig. Lernt die typische Sprache und subtile Kultur der
Frauen sprechen und leben und ihr werdet Euch bald als integrierte
Frauen erleben.